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Das Tenure-Track-Prinzip: Karrierewege und Kulturwandel im deutschen Wissenschaftssystem





Am 15. und 16. Mai fand in Berlin die Tenure-Track-Tagung 2025 statt. Vertreter:innen aus Wissenschaft, Wissenschaftsmanagement, Hochschulleitungen, Politik und Forschungsförderung kamen erneut zusammen, um über die Zukunft der Karrierewege und die nötigen strukturellen wie kulturellen Veränderungen im deutschen Wissenschaftssystem zu diskutieren.

Die Teilnehmenden kamen aus:

  • 68 Hochschulen
  • 4 außeruniversitären Forschungseinrichtungen
  • 7 Forschungsfördereinrichtungen
  • 4 Ministerien (deutsches und österreichisches Bundesministerium sowie zwei deutsche Landesministerien).

Darüber hinaus nahmen Vertreter:innen zahlreicher weiterer Verbände, Institutionen und Initiativen an der Veranstaltung teil, darunter: #IchbinHanna, UniWinD, Tenure-Track-Netzwerk, Tenure-Track-Workshop, League of European Research Universities (LERU), Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Wissenschaftsrat, Elsevier, VDI/VDE, Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), Junge Akademie, Deutscher Hochschulverband (DHV), Projektträger Jülich, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss), Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), BuWiK-Konsortium.

Was ist das „Tenure-Track-Prinzip“?

Unter dem „Tenure-Track-Prinzip“ werden spezifische Struktur- und Prozessmerkmale der Personalauswahl und -entwicklung verstanden, die sich mit der Einführung der Tenure-Track-Professur etabliert und bewährt haben. Wesentliche Merkmale sind dabei:

  • befristete Stellen, die bei positiver Evaluation nach einer klar definierten Bewährungsphase in unbefristete und zumeist höherwertige Stellen überführt werden;
  • transparente und strukturierte Auswahl- und Besetzungsverfahren in einer frühen Karrierephase unter besonderer Berücksichtigung des zu erwartenden Potenzials der Bewerber:innen (Potenzialanalyse);
  • Vereinbarung transparenter Evaluationskriterien zu Beginn der Bewährungsphase;
  • institutionelle Unterstützung und Begleitung der Beschäftigten in Form von spezifischen Qualifizierungs- und Mentoringangeboten sowie Beratungsgesprächen;
  • Feststellung der Bewährung durch transparent arbeitende und plural besetzte Evaluationskommissionen anhand der zu Beginn vereinbarten Kriterien.



  • Bild: Anna Schroll



„Überlegungen zu wissenschaftlichen Personalstrukturen der Zukunft“

Keynote von Prof. Dr. Birgit Spinath zum Auftakt der Tagung

Prof. Dr. Birgit Spinath, Vorsitzende des Ausschusses für Tertiäre Bildung im Wissenschaftsrat, sprach in ihrer Keynote über die Entwicklung und Reform wissenschaftlicher Karrierewege und Personalstrukturen an deutschen Hochschulen. Ausgehend von den Empfehlungen des Wissenschaftsrats von 2014 zur Einführung der Tenure-Track-Professur zog sie Bilanz: Elf Jahre später sei der Tenure Track ein „selbstverständlicher und anerkannter zusätzlicher Karriereweg zur Professur“. Besonders das Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses von 2016 habe entscheidend zur Etablierung beigetragen.

Zahlen im Überblick:

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der angestrebten 1.000 Tenure-Track-Professuren wurden im Zeitraum 2017-2023 besetzt.

  • Im Zeitraum 2017–2023 wurden 971 der angestrebten 1.000 Tenure-Track-Professuren besetzt. Rund die Hälfte mit Frauen: In der W1-Professurengruppe ist das Geschlechterverhältnis mit 52 % Frauen und 48 % Männern nahezu paritätisch, während in der W2-Gruppe 58 % Männer und 42 % Frauen vertreten sind (Evaluation des Bund-Länder-Programms).
  • Der „Bundesbericht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer frühen Karrierephase“ (BuWik) zeigt: Die Zahl der Tenure-Track-Professuren hat sich von 665 im Jahr 2018 auf 1.336 im Jahr 2022 mehr als verdoppelt (+101 %). Das Tenure-Track-Programm wirkt, und die Tendenz ist weiterhin steigend.

Trotz dieser Erfolge bestehe weiter Handlungsbedarf, bedingt durch „hohe Befristungsquoten, zunehmende administrative Aufgaben für das wissenschaftliche Personal und die geringe Planbarkeit der wissenschaftlichen Karrieren“, betonte Spinath. Zudem nehme der Handlungsdruck auf Hochschulen zu, da der Fachkräftemangel und die Konkurrenz durch den außeruniversitären Arbeitsmarkt sie vor Herausforderungen bei der Gewinnung qualifizierten Personals stelle.



  • Bild: Anna Schroll





Vor diesem Hintergrund stellte Spinath bereits im Mai den Entwurf des Positionspapiers “Personalstrukturen im deutschen Wissenschaftssystem” des Wissenschaftsrats vor, welches im Juli 2025 veröffentlicht wurde. Das Papier nimmt Personalstrukturen jenseits der Professur in den Blick. In seinen Empfehlungen schlägt der Wissenschaftsrat eine grundlegende Neuausrichtung der Personalstrukturen im Wissenschaftssystem vor, um attraktive, transparente und klar definierte Stellenprofile und Karrierewege zu schaffen. Diese sollen sowohl die individuelle Entwicklung und internationale wie auch sektorübergreifende Mobilität von Wissenschaftler:innen unterstützen als auch die Leistungsfähigkeit der Institutionen insgesamt stärken. Um das Wissenschaftssystem langfristig zu sichern und zukunftsfähig zu gestalten, bedarf es eines Kulturwandels hin zu einem erweiterten Verständnis wissenschaftlicher Karrieren auch neben der Professur.

Leitlinien für zukunftsfähige Personalstrukturen:

  • Funktionalität: Geeignete Personaleigenschaften und -zusammensetzungen müssen Einrichtungen ermöglichen, ihre Aufgaben zu erfüllen, innovative Impulse und wissenschaftlichen Fortschritt zu schaffen. Dazu gehört, in größerem Umfang unbefristete Stellen zu bieten.
  • Attraktivität der Beschäftigungsbedingungen sind der zentrale Faktor, um konkurrenzfähig zu außerakademischen Sektoren zu sein und die talentiertesten Wissenschaftler:innen zu gewinnen und zu halten.
  • Transparente Personalstrukturen schaffen Klarheit über Aufgaben, Anforderungen und Perspektiven spezifischer Stellen.
  • Förderung von Gleichstellung und Diversität hilft, das beste Personal anzuziehen, zu binden und weiterzuentwickeln und eröffnet breite Zugänge in das akademische System.
  • Durchlässigkeit und Mobilität - sektoral, zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen und Ländern - muss durch transparente und vergleichbare Personalstrukturen gewährleistet werden.
  • Fachspezifik: Personalstrukturen müssen an die Spezifika ihrer jeweiligen Fächer angepasst werden können.

Spinath betonte: „Attraktive Personalstrukturen sind keine Frage einzelner Interessen, sondern eine Voraussetzung für ein leistungsfähiges Wissenschaftssystem.“ Trotz rechtlicher, finanzieller und kultureller Hürden stellte sie eine wachsende Reformbereitschaft und den Willen zum Kulturwandel fest. „Umso erfreulicher ist es, dass aktuell ein Momentum besteht, die notwendige Neugestaltung wissenschaftlicher Personalstrukturen vorzunehmen. Es mehren sich inzwischen Signale für Reformbedarf und Reformbereitschaft. Das Letztere ist vielleicht umso wichtiger, Reformbereitschaft in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik“, so Spinath. Das neue Papier solle Orientierung bieten – für ein zukunftsfähiges, international anschlussfähiges Wissenschaftssystem.

Zur Aufzeichnung.



  • Bild: Anna Schroll



Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:

  • Etablierung des Tenure Tracks: Seit den Empfehlungen des Wissenschaftsrats 2014 hat sich die Tenure-Track-Professur als zusätzlicher Karriereweg zur Professur weiter etabliert. Zwischen 2017 und 2023 wurden 971 der geplanten 1.000 Professuren besetzt.
  • Starkes Wachstum: Laut BuWik hat sich die Gesamtzahl der Tenure-Track-Professuren in Deutschland von 665 (2018) auf 1.336 (2022) mehr als verdoppelt (+101 %).
  • Handlungsbedarf: Die Tenure-Track-Professur ist nicht die alleinige Lösung der beschriebenen Probleme, kann aber ein Vorbild für die Ausgestaltung weiterer wissenschaftlicher Personalkategorien sein. Hohe Befristungsquoten, steigende administrative Aufgaben und geringe Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren erschweren die Entwicklung wissenschaftlichen Personals abseits der Tenure-Track-Professur. Zusätzlich wirkt der Fachkräftemangel auf die Attraktivität des Systems.
  • Positionspapier des Wissenschaftsrats 2025: Der Wissenschaftsrat empfiehlt transparente, attraktive und klar definierte Stellenprofile neben der Professur, die Mobilität, individuelle Entwicklung und institutionelle Leistungsfähigkeit fördern.
  • Leitlinien für zukunftsfähige Personalstrukturen: Transparenz bei Auswahlverfahren, Ausbau von Dauerstellen, Förderung von Mobilität und Durchlässigkeit, qualitätsgesicherte Personalauswahl sowie bedarfsgerechte Anpassung an Aufgabenprofile.
  • Kulturwandel erforderlich: Attraktive Personalstrukturen setzen ein erweitertes Verständnis wissenschaftlicher Karrieren voraus und erfordern Reformbereitschaft in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik.



Weiterführende Links zum Positionspapier des Wissenschaftsrats 2025:



Panel 1

Tenure-Track- Erfahrungen und die Zukunft der Personalstruktur

Hintergrundinterview: Prof. Dr. Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, über Tenure-Track und Entwicklung der Personalstruktur



Die Tenure-Track-Professur ist inzwischen – dank der Unterstützung durch das Bund-Länder-Programm, ein etablierter Weg zur Lebenszeitprofessur. Trotz besserer Planbarkeit sind viele Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen unzufrieden, da die Anzahl an Tenure-Track-Professuren begrenzt ist und langfristige Perspektiven jenseits von Professuren oft fehlen. Angesichts des demografischen Wandels und eines zunehmenden Fachkräftemangels – auch in der Wissenschaft – bleibt der Handlungsdruck auf Hochschulen, Wissenschaftspolitik und Fördermittelgeber hoch, um im internationalen Wettbewerb um talentierte Wissenschaftler:innen als attraktiver Wissenschaftsstandort bestehen zu können.

Das erste Panel diskutierte, wie die Tenure-Track-Professur die Personalstruktur verändert hat, welche Chancen und Herausforderungen damit verbunden sind und ob das Modell auf den akademischen Mittelbau ausgeweitet werden kann, um nachhaltige und flexible Karrierewege zu ermöglichen.

Zur Aufzeichnung.







„Wissenschaftliche Karrierewege und Personalstruktur zusammen gestalten“

Impulsvortrag von Prof. Dr. Jetta Frost

Als Einstieg in die Diskussion um die Zukunft der Personalstruktur an Hochschulen stellte Professorin Jetta Frost, Vizepräsidentin für Transfer, Karrierewege und Chancengerechtigkeit an der Universität Hamburg und Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats für den Bundesbericht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer frühen Karrierephase (BuWiK), in einem Impulsvortrag die Weiterentwicklung wissenschaftlicher Karrierewege jenseits der Professur in den Mittelpunkt.

Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung / BuWiK-Konsortium, BuWiK 2025

Frost begann ihren Vortrag mit einer kurzen Bestandsaufnahme der Ergebnisse des Bundesberichts Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer frühen Karrierephase (BuWiK): Das Bund-Länder-Programm habe in den letzten Jahren deutliche Wirkung gezeigt. So sei der Anteil an Tenure-Track-Professuren erheblich gestiegen: Von 665 im Jahr 2018 auf 1.336 im Jahr 2022, eine Steigerung um 101 %. Besonders hervorzuheben sei auch der gestiegene Frauenanteil: In W1-Professuren liegt er bei 52 %, in W2-Professuren bei 42 %.

Die Universität Hamburg habe sich auf den Weg gemacht, die Erfolge der Tenure-Track-Professur auch für andere Stellenarten umzusetzen, so Frost. In einem mehrjährigen Prozess ist dafür im Austausch mit Politik, Gewerkschaften und Personalvertretungen die „Hamburger Erklärung zu Hochschulkarrierewegen“ entstanden. Darin wurden Standards wie dreijährige Mindestvertragslaufzeiten und Mindeststellenumfänge von 65 % formuliert. Mit der Erklärung soll die Idee des Tenure Tracks, welche das verbreitete „Holen-Qualifizieren-Wechseln-Prinzip“ durch ein „Holen-Fördern-Halten-Prinzip“ ablösen soll, auf den akademischen Mittelbau übertragen werden – mit Stellenprofilen wie „(Senior) Researcher“ oder „(Senior) Lecturer“. Diese werden zunächst befristet vergeben und können nach positiver Evaluation entfristet werden. Diese Dauerstellen zeichnen sich durch einen hohen Grad an Eigenständigkeit in Forschung und Lehre sowie eine institutionelle Verankerung jenseits einzelner Professuren aus.

Der Aufbau neuer wissenschaftlicher Karrierewege sei untrennbar mit der Frage verbunden, welche Wissenschaftskultur an Hochschulen gelebt werden soll, sagte Frost. Mit dem „Hub of Academic Career and Research Culture“ (HARC) hat die Universität Hamburg deshalb ein Netzwerk geschaffen, in dem unterschiedliche Akteure gemeinsam an Konzepten für durchlässige, planbare und fest im Selbstverständnis der Hochschule verankerte Karrierewegen arbeiten.

  • Bild: Anna Schroll

Endlich planbar? Tenure Track und der Wandel der Personalstruktur

Podiumsdiskussion

Auf dem Podium sprachen:

  • Dr. Mandy Boehnke (Konrektorin für Internationalität, wissenschaftliche Qualifizierung und Diversität, Universität Bremen)
  • Andrea Frank (stellv. Generalsekretärin, Stifterverband)
  • Prof. Dr. Jetta Frost (Vizepräsidentin für Transfer, akademische Karrierewege und Gleichstellung, Universität Hamburg | Wissenschaftlicher Beirat BuWiK 2025)
  • Prof. Dr. Birgit Spinath (Vorsitzende des Ausschusses für Tertiäre Bildung, Wissenschaftsrat)
  • Prof. Dr. Walter Rosenthal (Präsident, Hochschulrektorenkonferenz)



Das erste Panel nahm die Themen Karrierewege, strukturelle Reformen und nachhaltige Personalentwicklung an deutschen Hochschulen in den Blick. Im Zentrum stand dabei die Frage, wie sich Personalstrukturen an deutschen Hochschulen zukunftsfähig gestalten lassen. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei dem Tenure-Track-Prinzip und der Weiterentwicklung von Karrierewegen neben der Professur. Es wurde intensiv diskutiert, ob eine umfassende Neuausrichtung nötig sei – von veränderten Stellenprofilen über transparente Auswahlprozesse bis hin zur besseren internationalen Vergleichbarkeit der Karrierewege.

Vom Karrierelabyrinth zum klaren Pfad?

Das Tenure-Track-Prinzip verspricht Verlässlichkeit, Transparenz und Planbarkeit in der wissenschaftlichen Karriereplanung. Für viele, die sich in der deutschen Wissenschaft durch Befristungen, Kettenverträge und unklare Perspektiven kämpfen, klingt das fast utopisch. Andrea Frank (stellv. Generalsekretärin, Stifterverband) betonte gleich zu Beginn der Debatte um die Personalstruktur: „Tenure Track kann eine Inspiration für eine zukunftsfähige Personalstruktur sein, auch neben der Professur.“

Doch wie realistisch ist das? Der Status quo spricht eine andere Sprache: Rund 90 Prozent der Wissenschaftler:innen unter 45 Jahren sind befristet angestellt, das zeigt der jüngst erschienene BuWiK 2025. Auch in der internationalen Forschung sei das deutsche System für seine befristeten und wettbewerbsorientierten Strukturen bekannt und werde oft auch als „Survivor-Modell” beschrieben, so Prof. Dr. Jetta Frost (Vizepräsidentin für Transfer, akademische Karrierewege und Gleichstellung, Universität Hamburg | Wissenschaftlicher Beirat BuWiK 2025). Wer es schafft, bleibt – alle anderen fallen raus.

Gleichzeitig zeichnen sich erste Veränderungen ab: So beobachtet Frank, dass viele Hochschulen inzwischen stärker strategisch denken. Das bestätigt auch das aktuelle Hochschulbarometer: Es bleibe die Hoffnung, dass diesem strategischen Bewusstsein künftig auch konkrete Strukturen folgen – mit klar definierten Karrierepfaden, transparenten Auswahlprozessen und verlässlichen Rahmenbedingungen. 



Planbare Karrierewege jenseits der Professur

An einigen Hochschulen wurden inzwischen neue Stellenprofile etabliert. Solche Positionen wie „Researcher“, „Lecturer“ oder „Academic Manager“ sollen eine dauerhafte Perspektive neben der Professur bieten. Diese Profile wurden in den „Leitlinien für unbefristete Stellen an Universitäten neben der Professur“ der HRK und der Jungen Akademie empfohlen, wobei die Bezeichnungen variieren können. Eine Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zeigte, dass von 74 befragten Universitäten 23 bereits zentrale oder dezentrale Dauerstellenkonzepte etabliert haben.

In Bremen etwa wurden sie 2018 eingeführt – mit wachsender Akzeptanz. „Zwei Drittel der Fachbereiche haben solche Stellen bereits ausgeschrieben“, berichtete Dr. Mandy Boehnke (Konrektorin für Internationalität, wissenschaftliche Qualifizierung und Diversität, Universität Bremen). Die Erfahrungen seien überwiegend positiv, aber der Systemwandel bringe auch in Bremen Herausforderungen mit sich. In Fächern mit teurer Laborausstattung wie Physik oder Chemie seien solche Modelle schwerer umzusetzen.

Auch in der Benennung herrsche Uneinigkeit: Begriffe wie „Academic Manager“ wirken auf viele entweder zu verwaltend oder zu unklar. „Viele der Betroffenen haben eine wissenschaftliche Biografie und fühlen sich im Verwaltungsbereich nicht wirklich zu Hause“, so Boehnke. Sie plädierte dafür, den Fokus weniger auf die Verwaltung und stattdessen stärker auf die konkreten Bedarfe der Institution in Forschung, Lehre und Transfer zu richten.

Auch Frost und Frank plädierten dafür, nicht länger in klassischen Zuständigkeiten zu denken, sondern in institutionellen Bedarfen: Für viele Aufgaben, von Lehre bis Digitalisierung, brauche es wissenschaftliche Expertise, aber nicht zwingend eine Professur. Es brauche mehr konkrete Ansätze, um Tenure-Elemente auch für unbefristete Positionen wie „Researcher“ oder „Lecturer“ nutzbar zu machen, betonte Frost.

  • Bild: Anna Schroll

Weg vom Lehrstuhl, hin zum Department – oder etwas dazwischen?

Im Panel zeigte sich: Die Diskussion um neue Personalstrukturen ist eng mit der Weiterentwicklung von Organisationsformen verknüpft. Das klassische Lehrstuhlprinzip steht zunehmend in der Kritik. Stattdessen rückt das Department-Modell verstärkt ins Blickfeld. Im Gegensatz zum Lehrstuhlprinzip werden Mitarbeitende sowie Ressourcen im Department von mehreren Personen verwaltet und sind nicht einzelnen Professor:innen unterstellt. Prof. Dr. Walter Rosenthal (Präsident, HRK) hob hervor: „Wir brauchen gemeinsame Infrastrukturen und geteilten Zugang zu Ressourcen.“ Zudem böten Departmentstrukturen zudem die Chance, Hierarchien abzubauen: „Hier arbeiten Personen mit sehr unterschiedlichen, hochprofessionellen Profilen zusammen, wodurch die Hierarchien flacher werden”, ergänzt Prof. Dr. Birgit Spinath (Vorsitzende des Ausschusses für Tertiäre Bildung, Wissenschaftsrat)

Vor diesem Hintergrund gewinnen auch übergreifende Kooperationen an Bedeutung: In Hamburg wird versucht, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen stärker einzubeziehen. In der sogenannten „PIER”-Gruppe (Partnership for Innovation, Education and Research) wird gezielt an gemeinsamen Karrierewegen gearbeitet. Ziel ist es, Übergänge zwischen Institutionen zu erleichtern und Karrierepfade enger zu vernetzen.

Die Diskussion verdeutlichte, dass der Wandel der Organisationsstrukturen bereits im Gange ist. „Wir steuern bereits seit längerem in Richtung Departmentstrukturen. Man muss das nicht als revolutionären Umbruch verkaufen, aber wir sollten die Entwicklung bewusst gestalten und konsequent weiterverfolgen”, so Rosenthal.

Zwischen Potenzial und Paper-Count

Mit dem Wandel der Organisationsstrukturen rückt auch die Frage in den Vordergrund, wie Wissenschaftler:innen für Tenure-Track-Professuren ausgewählt werden sollen. In der klassischen Berufung geht es vor allem um Publikationen und eingeworbene Drittmittel. Um die Exzellenz in Forschung und Lehre nachhaltig zu sichern, brauche es ergänzende Auswahlkriterien und eine gute Potenzialanalyse insbesondere mit Blick auf Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen. Dabei komme es auch darauf an, Entwicklungs- und Führungspotenzial frühzeitig zu erkennen und gezielt zu fördern.

Konkret umgesetzt wird eine solche Potenzialanalyse bereits in Hamburg: Dort wurde eigens ein Assessment Center eingerichtet. „Wir setzen beim Tenure Track auf Potenzialanalysen in der Personaldiagnostik und nutzen diese auch in Einstellungsgesprächen“, erklärte Frost. Zudem seien klare Evaluationskriterien eingeführt worden, deren Ergebnis ein qualitativ fundiertes und rechtssicheres Gutachten sei. Auch Rosenthal beobachtet einen Wandel in Auswahlprozessen: „Anfangs wollten viele schlicht die Erfolgreichsten nach herkömmlichen Maßstäben berufen. Doch der Blick hat sich mittlerweile geweitet, heute geht es nicht nur um Achievements, sondern auch um Potenzial.“

Unbestritten ist der hohe Aufwand, der mit den Auswahl- und Evaluationsverfahren einhergeht. Könnte die Zwischenevaluation möglicherweise ganz wegfallen oder zumindest vereinfacht werden? Rosenthal sieht hier Optimierungsbedarf: „Viele werden erst im vierten oder fünften Jahr richtig gut.“ Statt harter Zwischenbilanz plädierte er für kontinuierliches Mentoring. „Die Zwischenevaluation gibt Sicherheit, auch rechtlich. Aber sie muss gut gemacht sein”, betonte hingegen Spinath.

Vom Willen zum Wandel in die Umsetzung

Am Ende der Diskussion blieb eine spürbare Aufbruchsstimmung und zugleich ein realistischer Blick nach vorn. Einigkeit bestand auf dem Podium darüber, dass es ein Momentum für Wandel in den Personal- und Organisationsstrukturen an deutschen Hochschulen gebe, doch seine Umsetzung brauche Zeit und Engagement. Das System müsse sich weiterentwickeln – weg von der Abhängigkeit einzelner Professuren, hin zu klaren, planbaren Wegen. Weg von unübersichtlichen Stellen, hin zu strukturierten Laufbahnen und transparenten Berufungsverfahren. Mit dem Tenure-Track-Prinzip sei das deutsche Wissenschaftssystem bereits einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Nun gelte es, dieses Potenzial weiter auszuschöpfen.

Oder, wie es Jetta Frost formulierte: „Wir haben lange in Stellenportfolios gedacht. Jetzt müssen wir endlich anfangen, in Karrierewegen zu denken.“



  • Bild: Anna Schroll

Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:

  • Karrierewege neben der Professur: Positionen wie „Researcher“ oder „Lecturer“ zeigen, dass sich neben der Professur Dauerstellen im Wissenschaftssystem etablieren lassen.
  • Bedeutung von strategischer Personalauswahl: Wie das Hochschulbarometer zeigt, begreifen immer mehr Hochschulen Personalfragen nicht mehr als reine Verwaltungsaufgabe, sondern als strategisches Gestaltungsfeld.
  • Departmentstrukturen gewinnen an Bedeutung: Statt einzelner Lehrstühle arbeiten mehrere Professuren in einem Department mit einem nicht weisungsgebundenen Mittelbau zusammen und setzen auf geteilte Ressourcen, Teamarbeit und flachere Hierarchien.
  • Berufungsverfahren im Wandel: Neben Publikationen und Drittmitteln gewinnen Potenzial, Entwicklungsperspektiven und Führungskompetenzen, insbesondere bei Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen an Bedeutung.
  • Bild: Gabriele Heinzel



Wie blicken R2-/R3-Wissenschaftler:innen auf die Bedeutung von Tenure-Track-Stellen?

Videostatements der Teilnehmenden des Tenure-Track-Workshops 2025

Welche Chancen und Herausforderungen sehen Forschende in R2- und R3-Phasen im Tenure-Track-Modell – und welche Rolle schreiben sie dem heutigen Wissenschaftssystem zu? Im Rahmen des Tenure-Track-Workshops 2025, der in Vorbereitung auf die Tagung stattfand, zeigten die teilnehmenden Wissenschaftler:innen ihre Perspektiven zum Thema.

Dr. Andrei Zavadski (TU Dortmund) sah im Tenure Track ein wichtiges Signal für mehr Verlässlichkeit in der Wissenschaft, bei gleichzeitig begrenztem Zugang. Dr. Julia Rathke (PH Ludwigsburg | IU Internationale Hochschule) lobte die Bedeutung des Karrierewegemodells, betonte aber den Bedarf an alternativen Beschäftigungsmodellen. Dr. Annika Elstermann (Universität Heidelberg) wies auf den wachsenden Leistungsdruck hin und plädierte für eine offene Diskussion über wissenschaftliche Bewertungskriterien.

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Hintergrundinterview

Prof. Dr. Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, über Tenure-Track und Entwicklung der Personalstruktur

Verlässliche Karrierewege sind ein zentrales Thema der aktuellen hochschulpolitischen Debatte – nicht nur für die Forschenden selbst, sondern auch für die Weiterentwicklung des gesamten Wissenschaftssystems. Im ersten Panel wurde Prof. Dr. Walter Rosenthal um seine Einschätzung gebeten.

Ich glaube, das WISNA-Programm war wirklich ein Game Changer, weil damit eine neue Kategorie eingeführt wurde.

Prof. Dr. Walter Rosenthal, HRK

Im Interview sprach er über die Wirkung des Tenure-Track-Programms, notwendige Reformen im Mittelbau, politische Impulse sowie darüber, was Hochschulen jetzt konkret tun können, um neue Perspektiven zu schaffen.

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Panel 2

Tenure-Track-Verfahren und diversitätssensible Personalauswahl

Hintergrundinterview: Prof. Dr. Sylvia Paletschek über Tenure-Track-Verfahren und diversitätssensible Personalauswahl
  • Bild: Anna Schroll
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der durch das Bund-Länder-Programm geschaffenen Tenure-Track-Professuren sind durch Frauen besetzt.

Der Monitoringbericht Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) zeigt, dass die Tenure-Track-Professur als Instrument für die Förderung von Gleichstellung in der Wissenschaft wirkt. Doch kann der Tenure Track auch darüber hinaus Diversität in der Wissenschaft fördern? Die Potenziale sind vielfältig, aber über Vielfaltsdimensionen abseits von Geschlecht – etwa sozialer Hintergrund, Migrationsgeschichte oder körperliche Einschränkung – liegen bislang wenig Informationen vor.

Das zweite Panel der Tenure-Track-Tagung stellte die Frage, welche Chancen Tenure-Track-Verfahren für eine diversitätssensible Personalauswahl bergen – und wie eine vielfaltsorientierte Personalgewinnung gewährleistet werden kann.

Zur Aufzeichnung.







Wie Auswahlprozesse Vielfalt fördern können

Expertinneninterview mit Dr. Karin Gilland-Lutz

Im Interview mit Dr. Karin Gilland-Lutz (Universität Zürich/ LERU Policy Group Equality Diversity Inclusion) stand die Frage im Mittelpunkt, wie Vielfalt durch Tenure-Track-Verfahren konkret gefördert werden kann. Dafür berichtete sie von ihren Erfahrungen an der Universität Zürich.

Vielfalt müsse bereits am Anfang des Auswahlprozesses mitgedacht werden – insbesondere bei der Ausschreibung von Stellen, ist Gilland-Lutz überzeugt. Entscheidend sei dabei nicht nur, wo Stellenanzeigen veröffentlicht werden, sondern auch, wie sie formuliert sind und welche Signale sie an Bewerber:innen aussenden, denn Bewerbungsverfahren dürfen keine Einbahnstraße sein. Um die am besten geeigneten potenziellen Bewerber:innen zu erreichen, müssen Hochschulen als attraktive Arbeitgeberinnen wahrgenommen werden. Dabei spiele auch eine vielfältige Besetzung der Kommissionen eine wichtige Rolle: „Durch die Zusammensetzung der Komitees kann man zeigen, dass das hier ein Ort ist, wo Menschen aus ‚all walks of life‘ erfolgreich sein, sich entfalten und dazugehörig fühlen können.“

Bereits vor Beginn eines Berufungsverfahrens werden an der Universität Zürich Auswahlkriterien und deren Gewichtung verbindlich festgelegt. Dies geschieht im sogenannten Strukturbericht, der dort ein zentrales Instrument für faire Auswahlverfahren darstellt. „Dies soll dazu führen, dass man im Verfahren eine gewisse Accountability hat“, so Gilland-Lutz. Der Einfluss persönlicher Präferenzen und möglicher Koalitionen in Berufungskommissionen solle so verringert werden. Zusätzlich kommen einheitliche Online-Bewerbungsmasken zum Einsatz, welche die Vergleichbarkeit der Bewerbungen erhöhen und helfen, unbeabsichtigte Verzerrungen, etwa durch unterschiedlichen Umfang eingereichter Unterlagen, zu vermeiden.



  • Bild: Anna Schroll





Ein innovatives Instrument ist der sogenannte „One-Page-CV“, entwickelt an der naturwissenschaftlichen Fakultät in Zürich. Er erfasst die tatsächlich wissenschaftlich genutzte Zeit seit der Promotion, abzüglich Einschränkungen wie Teilzeitarbeit oder Angehörigenpflege, und ermöglicht so eine leistungsgerechte Bewertung im Verhältnis zu den individuellen Rahmenbedingungen.

Im Hinblick auf die strategische Bedeutung vorausschauender Personalplanung verwies Gilland-Lutz auf ein aktuelles Projekt der Universität Zürich, das auf die bevorstehende Pensionierungswelle von Professor:innen bis 2030 reagieren soll. Um die freiwerdenden Stellen nahtlos zu besetzen und dabei besonders Frauen für Professuren zu gewinnen, stellt die Universitätsleitung Mittel zur Verfügung, mit denen Fakultäten Tenure-Track-Assistenzprofessorinnen zwei bis vier Jahre lang parallel zu den derzeitigen Lehrstuhlinhaber:innen beschäftigen können. Dies gebe ihnen Zeit, sich zu etablieren und schaffe so die Möglichkeit, Gleichberechtigung auf den höchsten akademischen Ebenen strukturell zu verankern.

Die eigentliche Weichenstellung für mehr Vielfalt muss bereits in der Rekrutierungsphase erfolgen – nicht erst in späteren Evaluationen. Trotz eingeschränkter Datenlage zu Vielfaltsdimensionen ist es möglich und notwendig, über Strukturen, Transparenz und gezielte Maßnahmen gerechtere Verfahren zu schaffen. Diversität darf dabei nicht auf die Kategorie Geschlecht beschränkt bleiben. Nur so könne das akademische System die gesellschaftliche Realität angemessen widerspiegeln, betonte Gilland-Lutz.



  • Bild: Anna Schroll



Diversität und Exzellenz – kein Widerspruch!

Podiumsdiskussion

Auf dem Podium sprachen:

  • Dr. Sibylle Detel (FU Berlin | Tenure-Track-Netzwerk)
  • Dr. Karin Gilland-Lutz (Abteilung Gleichstellung und Diversität, Universität Zürich | LERU Policy Group Equality Diversity Inclusion)
  • Frauke Logermann (Talent, Gender & Diversity, Max-Planck-Gesellschaft)
  • Prof. Dr. Sylvia Paletschek (Prorektorin für Universitätskultur, Universität Freiburg)
  • Dr. Sarah Schmidt (Universität Frankfurt a.M. | Tenure-Track-Workshop 2025)
  • Bild: Anna Schroll



Bei der anschließenden Podiumsdiskussion „Tenure-Track-Verfahren und diversitätssensible Personalauswahl“ ging es um bisherige Erfolge, aktuelle Herausforderungen, Strategien sowie neue Perspektiven für faire und inklusive Berufungsprozesse.

Nach wie vor werden Exzellenz und Diversität oftmals als Gegensatzpaar wahrgenommen – eine Annahme, der die Panelteilnehmer:innen entschieden widersprachen. Diversität sei kein Gegensatz zur „Bestenauslese“, sondern ergänzt sie, betonte Dr. Karin Gilland-Lutz (Abteilung Gleichstellung und Diversität, Universität Zürich | LERU Policy Group Equality Diversity Inclusion). Diversitätssensibilität solle nicht die Bestenauslese hinterfragen, sondern die Belastbarkeit von Personalentscheidungen: „Wurde bei dem Auswahlverfahren alles bedacht?“ Diversitätskriterien nicht zu beachten, schließe viele Menschen von Auswahlprozessen aus und erschwere es, die am besten geeignete Person zu finden. Auswahlverfahren, die Vielfalt strukturell mitdenken, schaffen somit nicht nur mehr Gerechtigkeit, sondern auch bessere Entscheidungen. Frauke Logermann (Talent, Gender & Diversity, Max-Planck-Gesellschaft) betonte: Diversitätsgerechte Verfahren gehen mit einer generellen Professionalisierung von Auswahl- und Bewertungsverfahren einher und fördern so Exzellenz. Doch wie kann eine solche diversitätssensible und professionalisierte Personalkultur gelingen?

Eine Herausforderung ist dabei die Erweiterung des Diversitätsbegriffes: Als zentrales Thema zog sich durch die Podiumsdiskussion die Problematisierung eines eindimensional ausgelegten Diversitätsbegriffes, der Vielfalt auf geschlechtliche Gleichberechtigung begrenzt. Während Fragen der Geschlechtergerechtigkeit institutionell inzwischen zunehmend mitgedacht und in Berufungsverfahren berücksichtigt werden, spielen andere Vielfaltsdimensionen in Auswahlverfahren kaum eine Rolle. So hob etwa Dr. Sarah Schmidt (Universität Frankfurt a.M. | Tenure-Track-Workshop 2025) hervor, dass gerade Aspekte wie soziale Herkunft, Pflege-Verantwortung, gesundheitliche Einschränkungen oder auch neurodiverse Lebensrealitäten häufig weder gesehen noch berücksichtigt werden. Prof. Dr. Sylvia Paletschek (Prorektorin für Universitätskultur, Universität Freiburg) betonte, dass körperliche Beeinträchtigungen im Wissenschaftssystem stark tabuisiert seien. Das Ergebnis: Diversität bleibt oft unsichtbar, viele Betroffene trauen sich nicht, offen über ihre Lebensrealitäten sprechen – sei es aus Angst vor Stigmatisierung oder weil es schlicht keine Räume für solche Gespräche gibt. Logermann stellte besonders die Perspektive sozialer Herkunft heraus: Wer aus einem nicht-akademischen Haushalt komme, stoße im akademischen Umfeld nicht nur auf ungeschriebene Regeln, sondern oft auch auf subtile Hürden.

  • Bild: Anna Schroll

Potenziale in den Blick nehmen

Mehrfach betonten die Diskutierenden, dass Auswahlprozesse noch zu stark durch traditionelle Leistungslogiken und quantitative Kriterien, etwa der bloßen Zahl der Publikationen, geprägt seien: Diese bevorzugen Bewerber:innen mit geradlinigen, unterbrechungsfreien Lebensläufen. So werden potenziell qualifizierte Kandidat:innen mit anderen Bildungsverläufen und Lebensrealitäten faktisch ausgeschlossen. Die Qualität der bisherigen Arbeit und mögliche Potenziale seien hingegen oft nicht hinreichend im Blick, sagte Dr. Sibylle Detel (FU Berlin | Tenure-Track-Netzwerk). Um auch diese Kriterien betrachten und in Auswahlverfahren gewichten zu können, seien Instrumente wie narrative Lebensläufe oder strukturierte Potenzialanalysen hilfreich. Sie erlauben eine differenziertere Bewertung, etwa indem Einflüsse abseits der wissenschaftlichen Karriere in die Betrachtung einbezogen werden. „Das kann man ja auch positiv framen und sehen. Aber dafür muss man halt auch Raum geben.“, so Logermann. Auch Schmidt betonte: Gerade Bewerber:innen mit Care-Verpflichtungen bringen oftmals besondere Kompetenzen mit.

  • Bild: Anna Schroll



Strukturelle Veränderung braucht Maßnahmen auf mehreren Ebenen

Eine wirklich diversitätssensible Rekrutierung kann nicht durch Einzelmaßnahmen erreicht werden: Sie erfordert Veränderungen in verschiedenen Handlungsfeldern, die als Bausteine zusammenwirken, um gemeinsam Verfahren und Strukturen neu auszurichten.

Diese Maßnahmen diskutierte das Podium ausgehend von konkreten Praxiserfahrungen:

  • Schulungen zu unconscious biases sind eine Grundlage, die insbesondere Mitglieder von Berufungskommissionen sensibilisieren können. Ihre Wirkung bleibt jedoch begrenzt, wenn sie nicht verbindlich sind.
  • Die Zusammensetzung von Kommissionen muss Vielfalt abbilden. Die Verantwortung für Diversität darf nicht auf Einzelpersonen delegiert und auf Repräsentation reduziert werden.
  • Ausschreibungen, Bewerbungsportale und Bewertungsraster beeinflussen stark, wer sich bewirbt und wie Auswahlprozesse verlaufen. Strukturierte Formate, wie z. B. das One-Page-CV oder standardisierte Online-Masken, können Vergleichbarkeit erhöhen und unbewusste Verzerrungen reduzieren.
  • Ein Perspektivwechsel hin zur Potenzialorientierung ist zentral: Narrative Lebensläufe oder strukturierte Potenzialanalysen ermöglichen differenzierte Bewertungen unter Berücksichtigung möglicher Diversitätsdimensionen.
  • Mentoring und institutionalisierte Laufbahnbegleitung als wichtige Instrumente: Zusätzlich können Entwicklungsgespräche mit aktivem Sponsoring kombiniert werden, um die Karrierewege gezielt zu unterstützen.
  • Bild: Anna Schroll



Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion lag auf der Rolle der Hochschulleitungen: Der Wandel hin zu mehr Diversität in Auswahlprozessen kann nicht allein durch Engagement in einzelnen Kommissionen erfolgen – er braucht auch klare Leitungsimpulse. Das bedeutet: Erwartungsmanagement gegenüber Fakultäten, Verbindlichkeit bei Verfahrensstandards und eine Balance zwischen zentraler Steuerung und dezentraler Umsetzung.

Kein Mehraufwand, sondern echter Mehrwert

Diversitätssensible Personalauswahlverfahren sind kein Add-on, sondern ein Ausdruck professioneller, fairer und zukunftsfähiger Auswahlprozesse. Sie setzen voraus, dass Vielfaltsdimensionen strukturell und konsequent mitgedacht werden – von der Ausschreibung bis zur Personalentwicklung. Die Verantwortung dafür liegt bei allen Beteiligten. Doch besonders die Institutionen selbst tragen Verantwortung: Sie stellen Personal ein, fördern Karrierewege und gestalten aktiv Hochschulkultur.

  • Bild: Anna Schroll



Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:

  • Diversität steht der Exzellenz nicht entgegen, sondern ergänzt sie – sie trägt zu fundierten Auswahlentscheidungen bei.
  • Ein rein quantitativer Leistungsbegriff bevorzugt nur bestimmte Karrieren und verkennt vielfältige Potenziale.
  • Professionalisierung der Auswahlverfahren stellt die Grundlage für eine diversitätssensible Personalauswahl dar.
  • Vielfaltsdimensionen abseits von Geschlecht wie soziale Herkunft, gesundheitliche Einschränkungen oder Pflege-Verantwortung werden bislang unzureichend berücksichtigt.
  • Aufgabe von Hochschulleitungen: Sie müssen Verantwortung übernehmen und Veränderungen aktiv steuern.





Wie blicken R2-/R3-Wissenschaftler:innen auf die Chancen diversitätssensibler Besetzung im Rahmen von Tenure Track-Stellen?

Videostatements der Teilnehmenden des Tenure-Track-Workshops 2025

Im Statementvideo brachten Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen zur Sprache, warum Diversität im Wissenschaftssystem nicht nur wünschenswert, sondern notwendig ist. Die diverse Gesellschaft und Studierendenschaft müssen sich auch im Wissenschaftssystem widerspiegeln, so Dr. Sarah Schmidt (Universität Frankfurt) und Dr. Andrei Zavadski (TU Dortmund). Tenure-Track-Positionen können einen zentralen Hebel für mehr Chancengerechtigkeit und Internationalität darstellen, sagte Dr. Bin Zhang (TU Dresden). Auch etwa Vielfaltsdimensionen wie Care-Verantwortung müssen stärker in den Blick genommen werden, betonte PD Dr. Jasmin Kizilirmak (DZHW Hannover). Ein Perspektivwechsel ist entscheidend, um strukturelle Ausschlüsse sichtbar zu machen und das akademische System zukunftsfähig zu gestalten.

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Hintergrundinterview

Prof. Dr. Sylvia Paletschek über Tenure-Track-Verfahren und diversitätssensible Personalauswahl

Im Interview erläuterte Prof. Dr. Sylvia Paletschek, welche Potenziale Tenure-Track-Professuren für mehr Vielfalt eröffnen – und wo bisherige Datenlücken eine umfassende Bewertung erschweren. Sie ging auf die Bedeutung intersektionaler Perspektiven ein, stellte das Verhältnis von Bestenauslese und Diversität klar und beschrieb, wie durch gezielte Maßnahmen mehr Chancengerechtigkeit in frühen Karrierephasen entstehen kann.

Diversitätssensible Personalauswahl zu betreiben, hilft, wissenschaftsfremde Kriterien in der Rekrutierung und in der Zuschreibung von Qualität und Exzellenz zu minimieren.

Prof. Dr. Sylvia Paletschek, Universität Freiburg

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Panel 3

Tenure Track and Career Paths from a European Perspective

Hintergrundinterview: Prof. Dr. Thomas Pertsch über die Stärken des deutschen Wissenschaftssystems bei der Gestaltung einer zukunftsfähigen europäischen Hochschullandschaft.



Seit 2023 arbeitet die Europäische Kommission am „European Framework for Research Careers“, um akademische Laufbahnen attraktiver und nachhaltiger zu gestalten sowie den Austausch und die Mobilität von Forschenden im Europäischen Forschungsraum zu fördern. Gleichzeitig findet ein internationaler Wandel in der Bewertung von Wissenschaftler:innen und der Erkennung ihres Potenzials statt.

Vor diesem Hintergrund diskutierte das dritte Panel, wie die Entwicklung akademischer Karrierewege in Deutschland stärker mit einer europäischen Gesamtperspektive harmonisiert werden kann. Dabei ging es unter anderem darum, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Forschungsraums stärken lässt, wie Karrierewege international kompatibel gestaltet, die Mobilität in den frühen Forschungsphasen gefördert werden können und welche Rolle das Tenure-Track-Prinzip als mögliches Instrument zur internationalen Personalgewinnung spielt.

Zur Aufzeichnung.



Forschungskarrieren in Europa

Experteninterview mit Prof. Bert Overlaet

Zum Auftakt des dritten Panels „Tenure Track and Career Paths from a European Perspective“ begrüßte Dr. Isabell Lisberg-Haag den HR-Experten Prof. Dr. Bert Overlaet (LERU Careers of Researchers & HR Policy Group | KU Leuven), um über den Zustand des europäischen Forschungsraums zu sprechen.

Europa habe im Bereich Forschung und Hochschulkarrieren in den vergangenen zwei Jahrzehnten spürbare Fortschritte erzielt, erklärte Overleat direkt zu Beginn. Die internationale Mobilität von Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen nehme zu, neue Karrierewege wie der Tenure Track seien eingeführt worden und Programme wie Euraxess, das HR-Excellence-in-Research-Label sowie die Marie Skłodowska-Curie-Maßnahmen böten europäischen Forschenden Unterstützung. Dennoch bleibe das System insgesamt unübersichtlich und die europäische Mobilität ausbaufähig.

„Ich denke, wir haben schon eine enorme Verbesserung und einen enormen Teil der Strecke gemacht, aber das bedeutet nicht, dass wir da sind, wo wir sein müssen.“ Gerade bei Forschungskarrieren fehle es in Europa bislang an gemeinsamen Definitionen, vergleichbaren Standards und klaren Perspektiven. Zwar existierten europaweite Begriffe, wie etwa die vier Karrierephasen R1 bis R4, doch deren Umsetzung unterscheide sich von Land zu Land stark. „All diese Tools, die wir jetzt haben, all diese Zusammenarbeit hat nicht zu einer Konvergenz zwischen Mitgliedstaaten geführt. Hinzu kommen unterschiedliche Visa-Richtlinien, welche die Mobilität erheblich erschweren,“ so Overlaet.



  • Bild: Anna Schroll



Ein zentrales Beispiel sei der Tenure Track, der in verschiedenen europäischen Ländern unterschiedlich ausgestaltet ist. Wie sehr die Systeme voneinander abweichen, zeigte Overlaet am Beispiel seines Heimatlands Belgien: Dort seien Professuren meist mit regelmäßig evaluierten Verträgen unter Beamtenstatus verbunden, die auch eine Kündigung ermöglichen könnten. In Deutschland laufe der Weg zur Professur dagegen meist über einen langen Qualifikationsprozess, gefolgt von einem starken Beschäftigungsschutz. Besonders hierzulande empfahl er daher, den Mittelbau zu stärken und die Strukturen insgesamt zu verbessern: „Man kann auch in R2 oder R3 glücklich sein. Wir sollten auch ein Karrieremodell haben, das die Tatsache erkennt, dass es nicht normal ist, eine volle Professur zu bekommen.“ Overlaet plädierte daher für mehr Konvergenz und Transparenz im europäischen Hochschulraum. Ein möglicher Hebel: das ERA-Gesetz, das grundlegende Rahmenbedingungen für Forschungskarrieren in ganz Europa schaffen könnte.

  • Bild: Anna Schroll

Doch warum verläuft die Harmonisierung der Forschungskarrieren in Europa so schleppend? Sind die europäischen Universitäten zu wettbewerbsorientiert? „Ich denke nicht, dass das so ist. Wettbewerb und Kooperation schließen sich nicht aus. Wettbewerb kann sogar Vorteile bringen“, betonte er. „Viele Industriezweige sind wettbewerbsintensiv, haben aber gleichzeitig klare Strukturen und Regeln.“

Trotz der bestehenden Herausforderungen stellte Overlaet große Chancen in der europäischen Zusammenarbeit fest: Europa müsse für internationale Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen attraktiver werden – nicht nur durch bessere Infrastruktur, sondern vor allem durch ein dynamisches Forschungsumfeld mit klaren Perspektiven. Entscheidend sei die Harmonisierung wissenschaftlicher Karrierewege, um Mobilität und Planungssicherheit innerhalb Europas zu stärken und im globalen Wettbewerb bestehen zu können.

„Wenn wir ein gemeinsames europäisches Verständnis von wissenschaftlichen Karrieren schaffen, bieten wir Forschenden die Möglichkeiten, die es so in anderen Ländern nicht gibt“, schloss Overlaet das Gespräch.



  • Bild: Anna Schroll



Gibt es einen europäischen Tenure Track?

Podiumsdiskussion

Auf dem Podium sprachen:

  • Prof. Dr. Peter-André Alt (Wübben Stiftung Wissenschaft)
  • Dr. Iuliia Eremenko (Univeristät Kassel | Tenure-Track-Workshop 2025)
  • Mag. Dr. Jürgen Janger (WIFO Österreich | SECURE)
  • Prof. Dr. Bert Overlaet (LERU Careers of Researchers & HR Policy Group | KU Leuven)
  • Prof. Dr. Thomas Pertsch (Friedrich-Schiller-Universität Jena)
  • Dr. Christiane Wüllner (Ruhr-Universität Bochum | Tenure-Track-Netzwerk)



  • Bild: Anna Schroll





Klarheit, Planbarkeit, Transparenz – das sind die großen Versprechen des Tenure Track. Doch wie international offen ist das deutsche System tatsächlich? „Die nationalen Systeme sind extrem heterogen“, stellte Mag. Dr. Jürgen Janger (WIFO Österreich | SECURE) direkt zu Beginn der Podiumsdiskussion klar. Ein Prinzip, das den europäischen Tenure Track jedoch vereint, sei entscheidend: „Von einer befristeten in eine unbefristete Stelle überzugehen, basierend auf klaren Leistungskriterien.“ Im EU-Projekt The Sustainable Careers for Researcher Empowerment (SECURE) analysiert Janger gemeinsam mit Prof. Dr. Bert Overlaet (LERU Careers of Researchers & HR Policy Group | KU Leuven) Tenure-Track-ähnliche Modelle in den Ländern des European Research Area. Ziel ist es, einen Überblick über die unterschiedlichen Verfahren zu gewinnen, ihre Vergleichbarkeit und Transparenz zu erhöhen sowie Best Practices zu identifizieren und Role Models sichtbar zu machen. Universitäten mit Tenure-Track-Angeboten würden besonders viele qualifizierte Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen anziehen, so Janger. Angetrieben von einer „Bottom-up“-Bewegung der Forschenden werde sich das Tenure-Track-System künftig immer stärker etablieren, prognostizierte er.

Trotzdem warnte er vor übermäßiger Standardisierung: „Forscher:innen sind kluge Menschen. Sie verstehen Unterschiede zwischen Systemen, man muss nicht alles angleichen.“ Auch Prof. Dr. Thomas Pertsch (Friedrich-Schiller-Universität Jena) bekräftigte, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft von Diversität lebe und diese auch in den Systemen sichtbar sein sollte. „Wenn wir nur auf ein System setzen und es das Falsche ist, sind wir auf dem falschen Track.“

„Ich war überqualifiziert für den Tenure Track.“

Wie schwer verständlich das deutsche System für internationale Wissenschaftler:innen oft ist, schilderte Dr. Iuliia Eremenko (Univeristät Kassel | Tenure-Track-Workshop 2025). Nach Stationen in Bamberg, Paris und Warschau sei sie „überqualifiziert“ für den deutschen Tenure Track, am Ende blieb nur der Rückweg in klassische Strukturen. Ihre Erfahrung: Für Forschende, die international mobil sind, fehle es in Deutschland häufig an Flexibilität. Auch Pertsch forderte ein Tenure-Track-Verständnis, das individuelle Übergänge erlaubt: „Ein Track ist ein Pfad, kein starrer Stufenplan.“



  • Bild: Anna Schroll



Perspektivenvielfalt ernst nehmen

Dr. Christiane Wüllner (Ruhr-Universität Bochum | Tenure-Track-Netzwerk) ergänzte die internationale Perspektive aus ihrer Arbeit im internationalen Forschungsmarketing der RUB. Gerade Forschende aus außereuropäischen Ländern wie Japan oder Brasilien kämen nicht unbedingt mit langfristigen Karriereplänen nach Deutschland, sondern um Forschungserfahrung zu sammeln – eine permanente Position spiele für sie eine untergeordnete Rolle. Umso wichtiger sei es, ein System zu schaffen, das für beide Gruppen attraktiv ist: die mobilen wie die langfristig orientierten Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen. Doch wie können internationale Talente im deutschen System gehalten werden? Prof. Dr. Peter-André Alt (Wübben Stiftung Wissenschaft) betonte: „Wir sind attraktiv für PhD-Kandidat:innen, aber verlieren sie oft auf dem Weg zur Professur“. Es sei richtig, dass nicht alle bleiben wollten, doch umso wichtiger sei es, diejenigen zu halten, die bleiben möchten. Dafür brauche es transparente und faire Karrierewege. Tenure Track sei daher auch für internationale Wissenschaftler:innen zu Beginn ihrer Karriere eine gute Option.

Strukturelle Barrieren bremsen Internationalität

Ein zentrales Problem sei nach wie vor die mangelnde Transparenz bei Stellenausschreibungen, so Alt. „Wir brauchen mehr Klarheit darüber, welche Stellen klassisch und welche über Tenure Track besetzt werden. Das findet man kaum auf den Webseiten der Unis.“ Auch Pertsch betonte: „Wir haben tolle Erfolge erzielt, etwa im Erasmus-Programm. Bei den Professuren sieht das aber anders aus. In der Leitungsebene ist der Großteil Deutsch.“ Es sollte auch auf der Führungsebene das Potenzial genutzt werden, das auf internationaler Ebene vorhanden sei.

Sprachliche Hürden, Bürokratie und fehlende Anlaufstellen erschwerten zusätzlich den Zugang. Eremenko ergänzte: „Ich habe Polnisch gelernt, Französisch, jetzt lerne ich Deutsch, aber man braucht Zeit dafür und Unterstützung.“ Die Bereitschaft, strukturell umzudenken, sei entscheidend, so Alt. Er betonte, dass sich nicht nur die Kandidat:innen bei der Institution bewerben, sondern auch die Institution bei den Kandidat:innen um Interesse werben müsse.

Dass ein Kulturwandel möglich ist, zeigt das Beispiel KU Leuven: Dort werden Professuren nur besetzt, wenn auch qualifizierte internationale Bewerbungen eingehen. „Seitdem steigt die Zahl exzellenter Bewerbungen kontinuierlich“, so Overlaet.



Es fehlt an Orientierung – und an Ressourcen

Internationale Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen stoßen in Deutschland oft auf ein unübersichtliches System. Informationen zu akademischen Strukturen, Visafragen oder Krankenversicherung sind auf viele Stellen verteilt und die Zuständigkeiten oft unklar. Eine zentrale Anlaufstelle an Universitäten sei dringend nötig, so Alt.

Warum es daran fehlt? „Es kostet Geld und das haben wir nicht“, erklärte Overlaet deutlich. Zwar gebe es erfolgreiche Programme, wie Wüllner betonte, doch sie blieben Ausnahmen. Es existierten Initiativen, die internationale Forschende gezielt unterstützen und damit Lücken schließen. Ein Beispiel sei die Wübben Stiftung Wissenschaft, die mit Programmen wie Appointment Accelerator gezielt internationale Professuren fördere – mit bis zu 1,2 Millionen Euro pro Stelle, inklusive Ausstattung, Beratung und Begleitung. Das grundlegende Finanzierungsproblem an den Universitäten lösten solche Initiativen jedoch nicht.

Doch allein mit Geld sei es nicht getan. Es brauche ein stärkeres Bewusstsein für strukturelle Barrieren und mehr Transparenz. „Ausschreibungen beispielsweise für wissenschaftliche Mitarbeiter:innen sind oft unklar. Für was bewerbe ich mich eigentlich? Was sind die Voraussetzungen“, kritisierte Eremenko. Transparente Kommunikation sei zentral, ebenso wie flexible Karrierewege.

Forschende brauchen transparente Regeln und nachvollziehbare Kriterien, um ihre Karriere planen zu können. Die Diskutant:innen betonten, dass der Tenure Track ein sinnvolles Instrument sein kann, er aber nicht als starres Regelwerk verstanden werden sollte. Statt starrer Regeln sollte er als flexibler Karrierepfad dienen, der individuelle Übergänge ermöglicht. Besonders im internationalen Kontext sind mehr Offenheit und ein Denken in flexiblen Pfaden statt starren Stufen notwendig. Universitäten sollten sich als attraktive Arbeitgeberinnen positionieren, strukturelle Barrieren abbauen und Tenure-Track-Systeme als Instrument zur Förderung von Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen einsetzen.



  • Bild: Anna Schroll



Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:

  • Strukturelle Hürden: Sprachbarrieren, bürokratische Hürden und fehlende zentrale Anlaufstellen erschweren den Einstieg in das deutsche Wissenschaftssystem.
  • Flexiblere Karrierewege gefordert: Das System muss starre Karriereschritte überwinden und individuelle, flexible Übergänge ermöglichen, um der internationalen Mobilität gerecht zu werden.
  • Europäische Harmonisierung: Die Entwicklungen internationaler Karrierewege müssen aufeinander abgestimmt werden. Ziel ist es nicht, das System zu vereinheitlichen, sondern Mobilität zu fördern und flexible Karrierewege für internationale Forschende zu ermöglichen.
  • Universitäten in der Pflicht: Universitäten müssen sich als attraktive Arbeitgeberinnen positionieren und sich aktiv um internationale Talente bemühen.



Hintergrund

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wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter:innen mit ausländischer Staatsbürgerschaft waren 2023 an Hochschulen in Deutschland angestellt, darunter rund 4.100 internationale Professor:innen. Die internationalen Mitarbeiter:innen stellten damit 15% des gesamten Wissenschaftspersonals, bei der Professor:innenschaft lag dieser Anteil bei 8%.



  • Die wichtigste Herkunftsregion des internationalen Wissenschaftspersonals ist Westeuropa. 2023 kamen 29% des gesamten internationalen Wissenschaftspersonals und sogar 62% der internationalen Professor:innen aus westeuropäischen Ländern. Die wichtigsten Herkunftsländer des internationalen Wissenschaftspersonals waren Indien (9%), China und Italien (jeweils 7%). Von den internationalen Professor:innen kamen die meisten aus Österreich (19%), Italien (9%) und der Schweiz (8%).
  • An den vier größten außeruniversitären Forschungseinrichtungen arbeiteten 2022 rund 16.600 angestellte Wissenschaftler:innen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Seit 2012 hat sich deren Zahl verdoppelt (+105%), sodass 2022 hier rund 30% aller Wissenschaftler:innen aus dem Ausland stammten. EU-Länder stellten dabei 35%, die übrigen europäischen Länder 15% der internationalen Wissenschaftler:innen.

Internationales Wissenschaftspersonal an den vier größten deutschen außeruniversitäten Forschungseinrichtungen in Deutschland: Deutscher Akademischer Austauschdienst / Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung: Wissenschaft Weltoffen 2025 (kompakt)

  • Neben dem angestellten internationalen Wissenschaftspersonal forschen und lehren auch internationale Gastwissenschaftler:innen in Deutschland, deren Aufenthalte von in- und ausländischen Organisationen gefördert werden. Im Jahr 2022 waren dies rund 30.100 Aufenthalte. Westeuropa sowie Asien und Pazifik sind dabei mit Anteilen von jeweils 21% die wichtigsten Herkunftsregionen. Umgekehrt wurden im Jahr 2022 insgesamt rund 8.300 Aufenthalte deutscher Gastwissenschaftler/innen im Ausland von in- und ausländischen Organisationen gefördert. Westeuropa stellt die wichtigste Gastregion dar (30%), gefolgt von Nordamerika (19%) sowie Mittel- und Südosteuropa (14%).

Quelle: Deutscher Akademischer Austauschdienst / Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung: Wissenschaft Weltoffen 2025 (kompakt)



Weiterführende Links

Empfehlungen der SECURE-Arbeitsgruppe WP3 zu Tenure Track-Like Models

Programm des BMFTR zur Gewinnung internationaler Forschender und der Stärkung von internationalen Forschungskooperationen



  • Bild: Gabriele Heinzel

Wie blicken internationale Forschende auf das deutsche Wissenschaftssystem?

Videostatements der Teilnehmenden des Tenure-Track-Workshops 2025

Für internationale Wissenschaftler:innen ohne akademischen Familienhintergrund ist der Einstieg ins deutsche Wissenschaftssystem mit besonderen Hürden verbunden, finanziell wie organisatorisch. Forschungskapital ist auf dem Karriereweg zwar zentral, für viele aber nur schwer zugänglich. Es brauche mehr Bewusstsein für diese strukturellen Herausforderungen sowie gezielte Unterstützungsangebote, betonte PD Dr. Jasmin M. Kizilirmak (DZHW Hannover). Auch der strukturelle Rahmen spielt eine Rolle: Dr. Bin Zhang (TU Dresden) plädierte dafür, neben dem Tenure-Track-Prinzip verstärkt auf Departmentstrukturen zu setzen. Diese könnten institutionelle Macht stärker ausbalancieren und das Risiko von Abhängigkeiten verringern. Kizilirmak stimmte dem zu und forderte mehr Transparenz im deutschen Wissenschaftssystem. Zudem betonte Zhang den dringenden Bedarf an speziellen Coachingangeboten für internationale Wissenschaftler:innen.



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Hintergrundinterview

Prof. Dr. Thomas Pertsch über die Stärken des deutschen Wissenschaftssystems bei der Gestaltung einer zukunftsfähigen europäischen Hochschullandschaft.

Prof. Dr. Thomas Pertsch (Vizepräsident für Forschung und Innovation, Universität Jena) sprach im Interview über die Stärken des deutschen Wissenschaftssystems bei der Gestaltung einer zukunftsfähigen europäischen Hochschullandschaft.

Es geht nicht darum, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden und nur Kompatibilität zu erzeugen, sondern ein starkes System in Europa zu etablieren.

Prof. Dr. Thomas Pertsch

Er thematisierte Chancen und Herausforderungen der Internationalisierung, die Bedeutung des Tenure-Track-Systems für offenere und flexiblere Karrierewege sowie über die Notwendigkeit, wissenschaftliche Qualifikationen stärker in die Gesellschaft hineinzutragen. Zudem erläuterte er, wie Universitäten von der Wirtschaft lernen können – besonders im Umgang mit internationalem Fachpersonal und durch eine professionellere Personalentwicklung.

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Panel 4

Karrierewege und Kulturwandel

Hintergrundinterview: Prof. Dr. Karla Pollmann über Karrierewege und Kulturwandel im deutschen Wissenschaftssystem



Der Begriff „Kulturwandel“ ist Fluchtpunkt einer Vielzahl hochschulpolitischer Debatten: Im Zusammenhang mit der Attraktivität wissenschaftlicher Karrierewege wird zum einen die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gefordert. Zum anderen werden traditionelle Hierarchien und Machtstrukturen im deutschen Wissenschaftssystem hinterfragt.

Tenure-Track-Verfahren tun dies implizit: etwa durch die Herabsetzung des Entfristungsalters, die Etablierung von Potenzialanalysen bei der Personalauswahl sowie neue Kriterien zur Leistungsbeurteilung. Durch die Einführung der Tenure-Track-Professur und der Übertragung des Tenure-Track-Prinzips auf akademische Karrieren auch jenseits der Professur werden das historisch gewachsene Selbstverständnis und die daraus resultierenden Organisationsstrukturen der Hochschulen in Frage gestellt. Wie grundlegend diese Transformationsprozesse gedacht werden können, zeigt auch etwa die Diskussion rund um Departmentstrukturen an deutschen Hochschulen.

Um den laufenden Kulturwandel aktiv mitzugestalten und die Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen zu verbessern, ist ein umfassender Dialog zwischen Hochschulen, Wissenschaftspolitik und Förderinstitutionen erforderlich. Diesen Dialog suchte das vierte Panel der Tenure-Track-Tagung, indem es sich dem Begriff des Kulturwandels annäherte und Perspektiven auf Herausforderungen und Wege für seine Umsetzung diskutierte.

Zur Aufzeichnung.



Dimensionen von Kulturwandel

Impulsvortrag von Dr. Nicole Thaller und Dr. Rebecca Thier-Lange

Wie kann der Kulturwandel im deutsche Wissenschaftssystem gelingen? Dieser Frage widmeten sich Dr. Nicole Thaller (Universität Frankfurt a.M. | Tenure-Track-Netzwerk) und Dr. Rebecca Thier-Lange (Universität Halle | Tenure-Track-Netzwerk), Wissenschaftsmanagerinnen für wissenschaftliche Karriereentwicklung, in einem Impulsvortrag im vierten Panel „Karrierewegen und Kulturwandel“. Mit einem analytischen Fünf-Dimensionen-Modell lieferten sie Denkanstöße für einen systemischen Kulturwandel an Universitäten.

Im Zentrum des Vortrags stand ein gemeinsam entwickelter Ansatz zum Begriff des Kulturwandels, der fünf verschiedene Dimensionen definiert:

Dimensionen von Kulturwandel Quelle: Dr. Nicole Thaller, Dr. Rebecca Thier-Lange: Impulsvortrag „Dimensionen von Kulturwandel“ auf der Tenure-Track-Tagung 2025

  • Die rechtliche Dimension umfasst etwa föderale Unterschiede in Hochschulgesetzen, die Karrierepfade regeln.
  • Die ressourcenbezogene Dimension verweist auf Finanzierung, Ausstattung und Aufgabenprofile an Universitäten.
  • Die organisationale Ebene beleuchtet institutionelle Unterschiede und standortspezifische Rahmenbedingungen.
  • Die fachspezifische Dimension erkennt an, dass Fachkulturen eigene Erwartungen und Karrierebilder prägen.
  • Die habituelle Dimension zielt auf die Sozialisation an Universitäten und die damit verbundenen tief verankerten Denk- und Verhaltensmuster.

Diese Dimensionen greifen ineinander und machen laut Thaller und Thier-Lange deutlich: Kulturwandel ist komplex und er muss bewusst gestaltet werden, sonst droht ein Rückfall in alte Strukturen.

  • Bild: Anna Schroll

Vision eines reformierten Karrieresystems

Der Vortrag lud das Publikum zu einer „Denkreise” ein: Was wäre, wenn alle strukturellen und kulturellen Hürden überwunden wären und attraktive Karrierewege im Wissenschaftssystem fest etabliert wären? In dieser Zukunft wären gesetzlich verankerte Karrierepfade vorhanden, Drittmittelstellen mit klaren Rechten ausgestattet, neue akademische Stellenprofile (z. B. „Researcher“, „Lecturer“ oder „Manager“) institutionell verankert und die Tenure-Track-Professur wäre ein dauerhaft vorhandenes Strukturmodell für Wissenschaftler:innen. „Am Ziel unserer Zukunftsvision stünden an den Standorten transparente und verständliche Regeln zur Besetzung und Weiterentwicklung dieser Stellen, mit klarer Verortung in der Organisation und im Verhältnis zur Professur“, so Thaller.

In einem solchen System gäbe es mehr Durchlässigkeit, Wertschätzung alternativer Karriereziele neben der Professur, fachspezifische Gestaltungsfreiheiten sowie verbindliche Leitlinien und feste Stellen für Karrieren im Mittelbau. „Hier steht die Überlegung einer gleichwertigen Gemeinschaft von Forschenden und Lehrenden, als Ausdruck wertschätzender Arbeitsräume und als Antwort auf die seit Langem geforderten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im wissenschaftlichen Mittelbau.“

  • Bild: Anna Schroll

Reformen brauchen mehr als Strukturen – sie brauchen kulturelle Veränderungen

Flickenteppich: Landeshochschulgesetze für W1-Professuren (JP) Quelle: Dr. Nicole Thaller, Dr. Rebecca Thier-Lange: Impulsvortrag „Dimensionen von Kulturwandel“ auf der Tenure-Track-Tagung 2025

Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Thaller machte deutlich: Es gehe nicht nur um Strukturen und Gesetze, es gehe um einen tiefgreifenden kulturellen Wandel. Unter dem Begriff des Kulturwandels werden alle Reformbestrebungen gebündelt: Praktiken und Arbeitsweisen veränderten sich, Werte und Einstellungen entwickelten sich weiter. Noch sei die Realität jedoch vielerorts geprägt von befristeten Verträgen, hohem Druck und der Vorstellung, dass Unsicherheit Teil einer wissenschaftlichen Karriere sei. Statt „Holen, Fördern, Halten” dominiere vielerorts nach wie vor das Prinzip „Fördern, Qualifizieren, Wechseln“.

Ein Beispiel aus der rechtlichen Dimension zeigt: Zwischen 2021 und 2025 nahm die Uneinheitlichkeit der Regelungen für Tenure-Track-Professuren zwischen den Bundesländern sogar noch zu. „Ein Zeichen dafür, dass unkoordinierter Wandel nicht automatisch zu besseren Lösungen führt“, so Thaller. „Kulturwandel und Karrierewege sollten gemeinsam aktiv gestaltet werden,“ resümierte sie.

In die anschließende Diskussion brachten Thaller und Thier-Lange mehrere Fragen zu Karrierewegen außerhalb der Professur ein: Welcher Oberbegriff eignet sich für neue Karrierewege? Wie gut sind Karrierewege und Zugangsvoraussetzungen miteinander vereinbar? Und wie lässt sich Transformation gemeinsam gestalten? Diese und weitere Aspekte zu Kulturwandel und Karrierewegen wurden anschließend in einer Fishbowl-Diskussion vertieft.

  • Bild: Anna Schroll



Kulturwandel gestalten: Perspektiven und Herausforderungen

Fishbowl-Diskussion

Auf dem Podium sprachen:

  • Jun.-Prof. Dr. Amrei Bahr (Universität Stuttgart | #IchBinHanna)
  • Prof. Dr. Michael Bölker (Vorstandsvorsitzender, UniWiND)
  • Dr. Armin Krawisch (Gruppenleiter Gruppe „Graduiertenkollegs und Karriereförderung“, DFG)
  • Jun.-Prof. Dr. Timo Lorenz (Medical School Berlin | Tenure-Track-Workshop 2025)
  • Prof. Dr. Dr. h.c. Karla Pollmann (stellv. Vorstand, German U15)

Ausgehend von einem multidimensionalen Begriff des Kulturwandels, wie ihn Dr. Nicole Thaller (Universität Frankfurt a.M. | Tenure-Track-Netzwerk) und Dr. Rebecca Thier-Lange (Universität Halle | Tenure-Track-Netzwerk) beschreiben, diskutierte das Podium sowie Stimmen aus dem Publikum zentrale Fragen zu strukturellen wie kulturellen Herausforderungen des deutschen Wissenschaftssystems im Kontext von Tenure-Track-Karrierewegen.

  • Bild: Anna Schroll



Kulturwandel als Gestaltungsaufgabe

Kulturwandel ist kein Selbstläufer, sondern muss aktiv gestaltet werden. Bereits zu Beginn der Diskussion hob Jun.-Prof. Dr. Amrei Bahr (Universität Stuttgart | #IchBinHanna) hervor, dass in Deutschland oftmals eine Kultur des Wartens auf Gesetzesänderungen, auf Empfehlungen des Wissenschaftsrats und auf neue politische Signale vorherrsche. Stattdessen brauche es Mut zur Gestaltung auf allen Ebenen – mit Vertrauen in die Kompetenzen der wissenschaftlich Tätigen und ohne andauernd den Zeigefinger auf übergeordnete Instanzen zu richten.

Jun.-Prof. Dr. Timo Lorenz (Medical School Berlin | Tenure-Track-Workshop 2025) stellt die Vision ins Zentrum jeder Veränderung: Wer Wandel wolle, müsse eine klare Vorstellung davon entwickeln, wie Forschung und akademisches Arbeiten in Zukunft aussehen soll – jenseits von Durchhalteparolen und Hoffnung auf passive Veränderung. Er plädierte für eine menschenfreundliche, gerechte Arbeitskultur und für ein Rollenverständnis, das Professor:innen nicht nur als „überlebende Predocs mit grauen Haaren“ versteht.

Doch bei welcher Dimension sollte Kulturwandel ansetzen? Prof. Dr. Dr. h.c. Karla Pollmann (stellv. Vorstand, German U15) verwies auf ihre Erfahrungen im britischen Hochschulsystem. „Kulturwandel entsteht aus vielen Elementen, die ineinandergreifen“. Begonnen habe der Wandel in Großbritannien auf der rechtlichen Ebene: durch politische Rahmensetzungen und veränderte Finanzierungslogiken. Als Vertreter der Deutschen Forschungsgemeinschaft stellte Dr. Armin Krawisch (Gruppenleiter Gruppe „Graduiertenkollegs und Karriereförderung“, DFG) die Beiträge der Forschungsförderung für einen Kulturwandel in der Wissenschaft dar: Die Promotionsbedingungen seien durch die DFG verbessert worden und Programme wie das Heisenberg-Programm oder die Emmy Noether-Gruppenleitung ermöglichten Forschenden analog zur Tenure-Track-Professur Karrierewege mit einer frühen Eigenständigkeit.

  • Bild: Anna Schroll



Karrierewege neben der Professur attraktiv gestalten

Es herrschte Einigkeit: Alternative Karrierewege wie Lecturer-, Researcher- oder Academic-Management-Stellen müssen aufgewertet werden – nicht nur formal, sondern auch kulturell. Lorenz betonte, dass diese Rollen bislang kaum mit substanziellen Aufgabenbildern unterlegt seien. Es fehle an einem narrativen Rahmen, der diese Stellen sichtbar, attraktiv und langfristig planbar mache. Wenn weiterhin nur die Professur als „Königsweg“ gesehen werde, bleibe alles andere systemisch marginalisiert und gelte als mediokre Alternative. Auch Prof. Dr. Michael Bölker (Vorstandsvorsitzender, UniWiND) stimmte dem zu. Entscheidend sei, dass neue Stellenprofile nicht nur substanziell ausgestattet, sondern, als eigenständige, attraktive Positionen wahrgenommen werden. Sie dürften keinesfalls nur als „Auffangbecken“ für Wissenschaftler:innen gelten, die den Sprung zur Tenure-Track-Professur nicht geschafft haben.

Die Rolle der Institutionen

Wo sich Strukturen ändern sollen, gibt es auch Gatekeeper und Beharrungskräfte. Wie soll Wandel also angestoßen werden? Aus dem Publikum wurde das Problem der institutionellen Widerstände angemerkt: Dr. Martin Rehfeldt (Universität Bamberg) hob hervor, dass jede Veränderung des Systems auch mit Machtverlusten für etablierte Akteur:innen einhergehe – etwa für Professor:innen, die durch Departmentstrukturen oder Drittelparität realen Einfluss abgeben müssten. Departments, wie sie in anderen Ländern üblich sind, könnten hier eine Möglichkeit bieten, die Verantwortlichkeiten zu verteilen und Mittelbaustellen stärker zu verankern. Bölker hingegen vertrat die Auffassung, dass Wandel von unten angestoßen werden müsse. Lorenz widersprach: Veränderung komme, weil man von oben Druck mache. Auch Krawisch betonte, dass ein struktureller Wandel nicht allein bottom-up funktionieren könne. Die positiven Erfahrungen des Tenure-Track-Verfahrens zeige, dass Kulturwandel auch politisch angestoßen werden müsse: „Von selbst wäre das nie passiert.“

Neben solch strukturellen Fragen spielt auch die systematische Förderung von Führungskompetenz auf dem Weg zur Professur eine zentrale Rolle für ein zukunftsfähiges Wissenschaftssystem. Die Diskutierenden waren sich darin einig, dass Leitungskompetenz bislang nur unzureichend gefördert werde. Lorenz kritisierte, dass Leitung in der Wissenschaft oft ein Nebenprodukt von Drittmitteln sei. Wer jedoch Menschen leiten solle, müsse dafür auch qualifiziert sein. Auch hier verwies Pollmann auf die systematische Fortbildungspflicht in Großbritannien – etwa zu Diversity, Leitungsaufgaben oder Studienberatung und sprach sich für eine verbindlichere Qualifizierung auch in Deutschland aus.

Mehrfach wurde auch das Rollenverständnis von Universitäten als Arbeitgeberin thematisiert. Dr. Melanie Fritscher-Fehr (Universität Freiburg) aus dem Publikum forderte, neben der individuellen Situation von Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen auch stärker die institutionellen Notwendigkeiten mitzudenken: Welche Aufgabenprofile braucht die Wissenschaft – und welche Stellen müssen dafür geschaffen werden? Bahr ergänzte einen weiteren Aspekt zur Frage nach Ressourcen: Die Vielzahl gescheiterter Berufungsverfahren und ineffizienter Bewerbungsportale verschlinge Arbeitszeit und demotiviere qualifizierte Wissenschaftler:innen. Das System selbst verhindere so mitunter produktive Arbeit – ausgerechnet dort, wo Qualität und Exzellenz gebraucht würden.

  • Bild: Anna Schroll



„Wenn ich 100 % arbeite, will ich auch 100 % bezahlt werden.“

Besonders kontrovers wurde die Frage nach den Arbeitsverhältnissen von Promovierenden diskutiert. Bahr kritisierte die gängige Praxis, Promotionsstellen mit 65 % auszuweisen, obwohl faktisch 100 % Leistung erwartet werde – eine strukturelle Ungleichbehandlung, die als selbstverständlich akzeptiert werde. Es sei besonders bedenklich, dass Wissenschaftler:innen in den Geisteswissenschaften pauschal schlechter vergütet würden als etwa in Ingenieursfächern. Wer gleiche Leistung erwarte, müsse gleiche Bedingungen bieten – alles andere sei ein „selbstgewählter Ausverkauf“ der eigenen Disziplin.

Die Fishbowl machte deutlich: Kulturwandel muss mehr sein als eine abstrakte Forderung. Er braucht konkrete Reformen, institutionelle Impulse und neue Narrative – aber vor allem: den Mut, Vertrauen vor Kontrolle zu setzen und Gestaltung vor Verwaltung.

  • Bild: Anna Schroll

Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:

  • Kulturwandel muss aktiv gestaltet werden – Warten auf strukturelle Reformen reicht nicht. Er erfordert proaktives Handeln auf allen Ebenen, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, und ein gestärktes Vertrauen in Wissenschaftler:innen insbesondere in frühen Karrierephasen.
  • Klare Visionen für neue Rollenbilder sind entscheidend: Forschung, Lehre und Management benötigen zukunftsweisende Rollenverständnisse. Nur auf dieser Grundlage lassen sich gezielt strukturelle und kulturelle Veränderungen initiieren.
  • Alternative Karrierewege dürfen nicht als Plan B zur Professur gelten – sie brauchen attraktive Arbeitsbedingungen und klare Aufgabenprofile.
  • Rechtsrahmen, Ausstattung und Statusfragen behindern oftmals den Wandel – Spielräume werden nicht systematisch genutzt.
  • Machtasymmetrien erschweren strukturelle Öffnungen und Veränderung – insbesondere im traditionellen Professur-Modell.
  • Bild: Gabriele Heinzel





Wie blicken Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen auf Perspektiven eines Kulturwandels im deutschen Wissenschaftssystem?

Videostatements der Teilnehmenden des Tenure-Track-Workshops 2025

Vier Stimmen von Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen, die am Tenure-Track-Workshop teilgenommen haben, zeigten, wie vielfältig und dringlich der Veränderungsbedarf im Wissenschaftssystem wahrgenommen wird: Dr. Julia Rathke (PH Ludwigsburg) betonte, wie wichtig es ist, vorhandene Gestaltungsspielräume zu nutzen und dabei Menschen sowie Menschlichkeit in den Mittelpunkt zu stellen. Dr. Annika Elstermann (Universität Heidelberg) forderte mehr unbefristete Stellen im Mittelbau, um Planungssicherheit und nachhaltige Karrieren zu ermöglichen. Auch PD Dr. Jasmin Kizilirmak (DZHW Hannover) sprach sich für Lockerungen bei Befristungen und offenere Regelungen aus. Dr. Bin Zhang (TU Dresden) erinnerte daran, dass Wissenschaft eine Kreativitätsaufgabe ist – sie brauche attraktive Arbeitsbedingungen und den Mut, von internationalen Entwicklungen zu lernen. Gemeinsam zeigen diese Stimmen: Ein Kulturwandel ist nicht nur möglich, sondern notwendig.



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Hintergrundinterview

Prof. Dr. Karla Pollmann über Karrierewege und Kulturwandel im deutschen Wissenschaftssystem

Im Interview sprach Prof. Dr. Karla Pollmann (stellv. Vorstand, German U15) über Herausforderungen durch föderale Strukturen, die Rolle der German U15 und Erfahrungen an der Universität Tübingen für neue Wege und zukunftsfähige Karrieremodelle.

Wir möchten Kulturwandel gestalten, denn von alleine passiert nicht sehr viel.

Prof. Dr. Karla Pollmann

Sie betonte die Bedeutung rechtlicher Rahmenbedingungen ebenso wie die Rolle von Machtverhältnissen, Sprache und Herkunft in der Entwicklung von akademischen Karrierewegen. Pollmann ist sich sicher: Mutige Pilotprojekte und neue Perspektiven können helfen, einen echten Kulturwandel anzustoßen.

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Ergebnisse und Perspektiven



Die Tenure-Track-Tagung 2025 eröffnete vielfältige Perspektiven auf Erfolge und Potenziale des Tenure Tracks und zeigte: Das Tenure-Track-Prinzip ist inzwischen fester Bestandteil des deutschen Wissenschaftssystems – zugleich besteht aber noch erheblicher Reformbedarf. In den Diskussionen wurde deutlich, dass planbare Karrierewege, transparente Verfahren und attraktive Beschäftigungsbedingungen unverzichtbar sind, um Wissenschaftler:innen langfristig im System zu halten, Potenziale zu fördern und internationale Talente zu gewinnen. Vier Schwerpunkte prägten die Diskussionen und geben zentrale Handlungsimpulse für die kommenden Jahre:

Karrierewege erweitern

Der Tenure Track hat sich als transparenter und planbarer Weg zur Professur etabliert. Nun gilt es, dieses Prinzip auch auf andere Stellenprofile wie Researcher oder Lecturer zu übertragen. Hochschulen sollten solche Positionen institutionell verankern, klar ausstatten und kulturell aufwerten, damit sie nicht als „Plan B“, sondern als eigenständige, attraktive Karriereoption wahrgenommen werden.

Diversität fördern

Tenure-Track-Verfahren können zu mehr Chancengerechtigkeit beitragen – vorausgesetzt, Diversität wird systematisch in Ausschreibungen, Auswahlverfahren und Kommissionsbesetzungen berücksichtigt. Gefragt ist dabei eine Erweiterung des Blicks über die Kategorie Geschlecht hinaus: Soziale Herkunft, Care-Verpflichtungen, gesundheitliche Einschränkungen oder Migrationsgeschichte müssen in Berufungsverfahren stärker Beachtung finden. Hochschulen und Förderorganisationen sollten verbindliche Standards für diversitätssensible Auswahlprozesse schaffen.

Internationale Anschlussfähigkeit stärken

Damit Deutschland im globalen Wettbewerb um Talente bestehen kann, braucht es mehr Klarheit und Transparenz in Karrierewegen. Gleichzeitig sollte eine stärkere Harmonisierung an europäische Standards vorangetrieben werden, um die internationale Mobilität für Forschende zu erleichtern. Universitäten müssen sich aktiv als attraktive Arbeitgeberinnen positionieren – durch transparente Verfahren, flexible Übergänge und gezielte Unterstützungsangebote für internationale Forschende.

Kulturwandel gestalten

Strukturen allein genügen nicht, wenn Denk- und Handlungsmuster unverändert bleiben. Ein echter Kulturwandel erfordert aktive Gestaltung: neue Rollenbilder jenseits der Professur, systematische Förderung von Führungskompetenz und eine Arbeitskultur, die Vertrauen vor Kontrolle stellt. Hochschulen, Politik und Wissenschaftsorganisationen sollten vorhandene Spielräume aktiv nutzen, um die Rahmenbedingungen für Forschung und Lehre nachhaltig zu verbessern.



Am Ende der Tagung stand eine Aufbruchsstimmung. Es wurde deutlich, dass die Transformation von Personalstrukturen und Wissenschaftskultur kein kurzfristiges Projekt ist, sondern einen langen Atem erfordert. Das Tenure-Track-Prinzip bietet hierfür eine tragfähige Grundlage – als Motor für Transparenz, Planbarkeit und Chancengerechtigkeit. Entscheidend wird sein, diesen Impuls aufzugreifen und gemeinsam weiterzuentwickeln, um das deutsche Wissenschaftssystem langfristig zukunftsfähig und international anschlussfähig zu gestalten.







Aufzeichnungen der Tagung



Tenure-Track-Tagung 2025: Eröffnung und Keynote

Panel 1: Tenure Track und die Weiterentwicklung der Personalstruktur

Panel 2: Tenure-Track-Verfahren und diversitätssensible Personalauswahl



Panel 3: Tenure-Track und deutsche Karrierewege aus europäischer Perspektive

Panel 4: Karrierewege und Kulturwandel

Abendpanel: Wissenschaftliche Karrierewege im Realitätscheck



Danksagung

Die Veranstalter:innen und das Organisationsteam bedanken sich bei allen Referent:innen, Gäst:innen und Projekt- und Kooperationspartner:innen, vor allem aber auch bei allen Teilnehmenden der Tenure-Tack-Tagung 2025 für die rundum gelungene, erfolgreiche und inspirierende Veranstaltung.

Die Tenure-Track-Tagung 2025 ist eine gemeinsame Initiative der Universitäten Freiburg und Jena in Kooperation mit dem Tenure-Track-Netzwerk und UniWiND e.V. sowie German U15. Die deutschlandweite Tagung fand im Mai 2025 unter Beteiligung von Wissenschaftspersonal, Politik und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus europäischen Forschungseinrichtungen statt. Der parlamentarische Abend zur Veranstaltung wird im Dezember 2025 im dbb forum Berlin stattfinden.

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Dr. Nicole Thaller (Universität Frankfurt a.M.), Dr. Rebecca Thier-Lange (Universität Halle): Impulsvortrag "Dimensionen von Kulturwandel" auf der Tenure-Track-Tagung 2025